Die Glasharmonika des Schnyder von Wartensees

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Beschreibung und Technik des Instruments

Die kürzlich identifizierte Glasharmonika des Schnyder von Wartensee hat mit 49 Schalen von c bis c4 einen außergewöhnlich großen Tonumfang. Die Schalen aus leicht grünlichem Glas sitzen zum größten Teil noch fest auf der Spindel, so dass das Instrument mit geringem Aufwand spielbereit gemacht werden kann. 20 der Schalen tragen auf den Rändern eine gut erhaltene Feuervergoldung.

Auf Grund der historischen Forschungen zu dem Instrument können die Glasschalen und wohl auch die Antriebstechnik der Glasharmonika in die Jahre um 1790/1800 datiert werden. Dagegen entstand das Gehäuse aus Nussbaumholz in der Art einer Physharmonika auf Grund der hier vorliegenden Ornament- und Konstruktionsformen in den Jahren um 1840.

Fundgeschichte

Nach der Familienüberlieferung des derzeitigen Eigentümers ist als letzter Spieler des Instrumentes Jakob Heinrich Carl Collischonn (*1861 +1939) bekannt.

Diese mündliche Überlieferung konnte bestätigt werden durch eine Ankündigung in der 26. Ausgabe 1932 der Südwestdeutschen Rundfunkzeitschrift SRZ vom 26. Juni 1932. (Auskunft des HR-Archiv vom 25. Jan. 2021) Hier wird für den 27. Juni 1932 um 20:40 Uhr für die Sendung „Kammermusik“ der Beitrag "Die Glas-Harmonika - ein vergessenes Musik-Instrument" mit einer Konzertaufnahme von „Hauptmann a.D Collichonn“ angekündigt. 

Glasharmonika im SWF

Jakob Heinrich Carl Collischonn entstammt einer hugenottischen Familie aus der Region Lyon, die wohl im späten 17. Jh. nach Frankfurt einwanderte.

Der Großvater und Vater von Jakob Heinrich Carl Collischonn bekleideten als 1. bzw. 2. Spitalmeister in Frankfurt, d.h. als wirtschaftliche Leiter des zentralen Krankenhauses in der Freien Reichsstadt, in der ersten Hälfte des 19. Jh. wichtige Ämter und zählten zu den städtischen Honoratioren.

Bei der Sichtung von Unterlagen im Familienbesitz des Eigentümers wurde ein Buch des Robert Schrotzenberger mit dem Titel „Francofurtensia – Aufzeichnungen zur Geschichte von Frankfurt am Main“ aus dem Jahr 1884 gefunden.

Dieses Buch enthält in lexikalischer Form Angaben zu bedeutenden Persönlichkeiten aus bzw. mit Bezug zu der Stadt Frankfurt. Auf S. 222 findet sich neben dem Eintrag zu Schnyder von Wartensee, Xaver, eine handschriftliche Anmerkung „Glasharmonika Großvater gekauft“. 

Anmerkungen zu berühmten Frankfurtern

Diese Anmerkung bezieht sich auf Johann Georg Adolf Collischonn (*1828 +1907), der in den Jahren um 1860 der 2. Spitalmeister in Frankfurt war und offenbar in Beziehung zu dem in Frankfurt tätigen Schweizer Komponisten Xaver Schnyder von Wartensee stand, der dort 1868 verstarb.

Ein weiterer Beleg ist das handschriftliche Angebot von C. Collischon aus dem Jahre 1922 an die Staatliche Akademie für Musik (Berlin) / Instrumentensammlung Curt Sachs über den Verkauf einer Glasharmonika aus dem ehemaligen Besitz des Schnyder von Wartensee für 120.000 Mark. (Signatur: HA SIM/1b/6/3,624, Staatl. Inst. für Musikforschung)

Biographie Wartensee

Schnyder von Wartensee wurde 1786 in der Nähe von Luzern geboren. Bereits in jungen Jahren erhielt er intensiven Unterricht an Violine und Klavier, stellte aber schon früh fest, dass sein größtes Interesse dem Komponieren galt.

1810 ging er nach Wien, um bei Ludwig van Beethoven Unterricht in Komposition zu nehmen. Da Beethoven zu diesem Zeitpunkt keine Schüler mehr annahm, prüfte er nur noch sehr wohlwollend eine ganze Reihe von autodidaktisch komponierten Werken von Wartensee.

Nach einigen Stationen in Zürich und Yverdon bei Pestalozzi ging Wartensee 1817 nach Frankfurt und hatte dort seinen Lebensmittelpunkt bis zum Tod im Jahr 1868. In Frankfurt war er eine zentrale Figur im kulturellen Leben der Stadt.

So gründete er 1828 den Frankfurter Liederkranz und war ab 1838 häufig Präsident des Deutschen Sängerfestes. Er galt als bedeutendster Schweizer Komponist der ersten Hälfte und Mitte des 19. Jahrhunderts.

Erwähnung der Wartensee-Glasharmonika in der Literatur

Das Leben des Xaver Schnyder von Wartensee ist durch zwei ausführliche Autobiographien und mehrere Erwähnungen in Berichten seiner Zeitgenossen gut überliefert. In diesen Überlieferungen ist die hier vorgestellte Glasharmonika mehrfach erwähnt.

Erstmals wird sie 1816 in der um 1849 verfassten ersten Autobiographie genannt.


Da ward ich zufällig (1816) in Yverdon mit Pestalozzi und Niederer bekannt, die mir Lehrstellen in ihren Anstalten antrugen, die ich annahm und mit meiner Frau im Sommer von Wartensee aus- und in Yverdon einwanderte. Einige Wochen nachher kam ein deutscher Künstler, Hr. Karl Scheider von Gotha, der die Glasharmonika trefflich spielte, und gab in Yverdon ein Konzert, in welchem ich mit ihm auf seinem Instrumente, ohne daß ich jemals vorher ein solches sah oder hörte, etwas für vier Hände spielte.

Das Konzert fand auf dem Freiburger Musikfest statt.

Schnyder von Wartensee scheint sich mehrfach bei Schneider von Gotha um einen Ankauf der Glasharmonika bemüht zu haben. Dieser verkaufte das Instrument aber nicht an ihn, sondern an einen Bekannten von dessen Vater, den Züricher Kanonikus Büsinger. Aus dessen Nachlass wiederum konnte Wartensee das Instrument 1826 übernehmen. Die nachfolgende Erwähnung bezieht sich auf diesen Erwerb.


Im Jahr 1826 kam ich unerwartet in den Besitz derselben ausgezeichneten Harmonika, auf welcher ich im Jahr 1816 mit Hrn. Schneider vierhändig spielte. Ich studierte nun mit großem Eifer die Behandlung dieses wundervollen Instrumentes und brachte es bald darauf zu einer solchen Meisterschaft, daß ich in Frankfurt, Mainz usw. öffentlich mich hören ließ. Seither kam es mit mir in die Schweiz und befindet sich jetzt (d.h. um 1849) in Zürich.

Aus dem Jahr 1849 ist durch Wartensee ein Bericht über die Konzerte Paganinis in Frankfurt in den Jahren 1829 und 1830 in der „Neuen illustrierten Zeitschrift der Schweiz, 1. Jg., Nr. 17 u. 18 veröffentlich worden. Hier beschreibt er ein kleines Solokonzert, dass er persönlich für Paganini auf seiner Glasharmonika aufführte.


Schnyder lud den großen Meister (Paganini) zu sich (in Frankfurt), um ihn die Zaubertöne der Glasharmonika hören zu lassen. Als er zu spielen begann, stand Paganini plötzlich vom Sofa auf, schlich auf den Fußspitzen zu den Fenstern, ließ die Rolladen herunter und sagte mit bewegter Stimme: „Ah, quelle céleste voix! Cela est vraiment pour prier!“ (Ah, welch himmlische Stimme! Das ist wirklich zum Beten!): setzte sich still wieder auf das Sofa und lauschte andächtig den überirdischen Klängen.

(vgl.: Willi Schuh: : Erinnerungen Xaver Schnyder´s von Wartensee, Zürich 1940, S. 214)

Für das Jahr 1848 wiederum beschriebt Gottfried Keller in seinen eigenen Erinnerungen, dass Wartensee ihm als jungem Mann nach einer Wanderung auf der Via Mala in Luzern ein nächtliches Solokonzert auf der Glasharmonika vortrug. Das Instrument beschreibt er dort als „klavierartig“.

Dar bedeutendste Hinweis auf die Identität des heute hier vorgestellten Instrumentes mit dem von Wartensee ist jedoch die Beschreibung des ungewöhnlich großen Tonumfanges. Willi Schuh beschreibt das Treffen Wartensees in Yverdon mit Schneider von Gotha im Jahr 1817. Die von Schneider von Gotha verwendete Harmonika hatte besaß 49 an einer eisernen Walze befestigte Glasglocken, gestimmt auf das kleine c bis zum C4. 

Beiliegende Partituren

Bei der Glasharmonika wurden zwei Partituren aus der Entstehungszeit des Instrumentes bzw. einer Komposition von Schnyder von Wartensee aufgefunden.

Diese ob abgebildete handschriftliche Partitur für Pianoforte und Glasharmonika trägt den schönen Titel „Der durch Musik überwundene Wütherich“. Bruno Hoffmann beschriebt diese um 1840 zu datierende Komposition sehr anschaulich: 

Notenblatt

Der Pianofortespieler tobt in düsterem c-Moll, hört in einer Atempause verminderte Septimenakkorde der Harmonika, legt von neuem los, wird wieder von Septimenakkorden der Harmonika überrascht, wird immer gezähmter, findet sich in unumgänglichen Dialog im Sechsachteltakt; das Ganze endet, fast möchte man sagen, in Beethovenscher Friedlichkeit.

In der Glasharmonika wurde darüber hinaus eine Partitur aufgefunden mit dem Titel „Kleine Tonstücke für die Harmonika oder das Pianoforte“ von I.L.Röllig., gedruckt durch Johann Gottlob Immanuel Breitkopf (1719 – 1794) in Leipzig.

Das Titelblatt der undatierten Partitur wird unten abgebildet. Sie wird archivalisch datiert auf das Jahr 1789 und könnte sehr wahrscheinlich zusammen mit dem Instrument durch den Erstbesitzer Karl Scheider von Gotha angeschafft worden sein.

Titelblatt für die Glasharmonikapartitur

Der letzte Spieler des Instrumentes, Carl Collischonn, komponierte eine ganze Reihe von Liedvertonungen für Pianoforte und eine Singstimme zu Texten von u.a. Uhland, Dahn und Hinterding. Sie wurden in den Jahren um 1890 bei Gustav Oehler in Frankfurt veröffentlicht.

Unten abgebildet ist ein Titelblatt einer dieser gedruckten Kompositionen nebst einem photographischen Portrait des Komponisten aus der Zeit um 1890. Weitere Kompositionen von Carl Collischonn sind unter dieser Adresse verzeichnet.

Lieder von Carl Collischonn
Carl Collischonn

Während alle in gedruckter Form veröffentlichten Kompositionen von Carl Collischonn für das Pianoforte und eine Singstimme entstanden, hat er ebenso mindestens eine Komposition für die Glasharmonika verfasst. 

Diese Komposition wurde im Nachlass des Carl Collischonn entdeckt und ist offenbar bisher nicht publiziert.

Sie belegt jedoch die anhaltende Beschäftigung des Carl Collischonn mit der Glasharmonika in der Tradition des Xaver Schnyder von Wartensee, auch wenn diese zu seiner Zeit kaum mehr im kulturellen und musikalischen Leben zu hören war.

Collischonns Komposition für Glasharmonika

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